U. Butz: Habsburg als Touristenmagnet

Cover
Titel
Habsburg als Touristenmagnet. Monarchie und Fremdenverkehr in den Ostalpen 1820–1910


Autor(en)
Butz, Ursula
Erschienen
Wien 2021: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
203 S.
von
Kurt Scharr, Institut für Geographie und Institut für Geschichte, Universität Innsbruck

Weite Teile der Ostalpen werden seit fast zweihundert Jahren durch ein Phänomen geprägt, das wir gemeinhin unter dem Begriff «Tourismus» kennen. Galt dieser Raum mit zunehmender Urbanisierung und Industrialisierung zunächst als Problemgebiet, gekennzeichnet von Strukturschwäche, mangelnder Erschliessung und wachsender Abwanderung, so setzte mit dem Aufkommen des Tourismus eine massive Veränderung ein, die bis heute andauert. Nicht alle Teile der Ostalpen waren davon in gleichem Masse betroffen. In den Zentralalpen, den Dolomiten sowie den Hohen und selbst den Niederen Tauern leistete der stetig wachsende Tourismus jedoch bald einen entscheidenden Beitrag zum Gesamtwirtschaftsaufkommen. Umso erstaunlicher ist es, dass die institutionelle Auseinandersetzung damit aus seiner historischen Perspektive selbst an den Universitäten Österreichs und der Schweiz immer noch eine Randstellung einnimmt. In Luzern hat sich Jon Mathieu als ausgewiesener Kenner der Geschichte des Alpenraumes im Rahmen eines SNF-Forschungsprojektes mit dem Titel «Majestätische Berge? Monarchie, Ideologie und Tourismus im Alpenraum 1760–1910» dieser Thematik eingehend angenommen.1 Die hier zur Besprechung vorliegende Monografie von Ursula Butz ging als Dissertation daraus hervor. Sie gliedert sich in sechs Kapitel, zentral sind die Abschnitte «Aufschwung der Kurorte: Infrastruktur und mondänes Leben» sowie «Öffentliche Wahrnehmung und Resonanz». Die Autorin geht darin dem «Monarchieeffekt auf den Fremdenverkehr» (S. 11) in Österreich-Ungarn nach und analysiert vergleichend vier Destinationen: Ischl, Meran, die Reichenau an der Rax und den Semmering.

Methodisch-theoretisch betrachtet fehlt der Tourismusgeschichte immer noch ein gut übertragbares Konzept. Das liegt – worauf Butz explizit hinweist – wohl in der schwer fassbaren Breite und Heterogenität des Phänomens selbst (S. 13). Gerade deswegen wäre es angebracht gewesen, die damit verbundenen Begrifflichkeiten wie «Sommerfrische», «Fremde», «Gäste» etc. im Rahmen des eigenen Forschungskontextes näher zu diskutieren. Schliesslich spiegelt schon allein die Begriffsentwicklung den Wandel desPhänomens und seiner wissenschaftlichen Analyse wider. Dazu haben unter anderem Brigitta Schmidt-Lauber und Hans Heiss bzw. das Touriseum Meran wichtige Anregungengeliefert. Ebenso vermisst man im Forschungsstand die Diskussion des grösseren Bildes,wie etwa der unter anderem von Werner Bätzing vorgeschlagenen zeitlichen Periodisierung des Tourismus in den Ostalpen. Das wäre für die Kontextualisierung der eigenen Forschungsfrage zentral gewesen. Andererseits weist Butz darauf hin, dass Tourismusgeschichte in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auf lokaler und regionaler Ebene ‹geschrieben› wurde (S. 56), trotzdem sind das aber mitunter wichtige Informationsressourcen, wie die Arbeit zeigt. Eine zentrale Quelle, die per se das Lokale überschreitet, sind Reiseführer wie der Baedeker, die eine Grossregion in den Blick nehmen. Sie ermöglichenes, allein schon durch ihre vielen Auflagen und homogene Struktur, einzelne Orte in einem zeitlichen Ablauf vergleichend zu analysieren, trotzdem werden sie bei Butz lediglich erwähnt (S. 141) und sind selbst nicht Teil der Analyse.

Im Abschnitt zur «Adelsgesellschaft im Wandel» skizziert die Autorin jene Gesellschaftsschichten, die bis zum Ersten Weltkrieg für den Tourismus als entscheidend galten: Das österreichische Erzhaus, der Adel und das Bürgertum; wobei Butz auf deren innere, heterogene Struktur sowie den markanten Bedeutungswandel dieser Gruppen während des Untersuchungszeitraumes verweist. Die biographischen Angaben zu den habsburgischen Akteuren hätten hingegen wesentlich kürzer ausfallen können. Sehr schön hat die Autorin aber in der Studie durchgehend die persönlichen Bezüge der Habsburger zu diesen Orten anhand von Quellen aus dem Wiener Haus- Hof- und Staatsarchiv herausgearbeitet.

Im Hinblick auf die Fragestellung und den vergleichenden Ansatz eröffnet Kapitel vier, thematisch geordnet, gute wie in der Zusammenschau fallweise neue Einsichten. Deutlich wird beispielsweise gezeigt, dass zwar ein gewisses «Nebeneinander» (S. 122) unterschiedlicher Gesellschaftsschichten während der Sommerfrische – zum Beispiel in Ischl allein schon durch den Wegfall des engen Korsetts des Hofzeremoniells (S. 124) – gewollt war, ohne jedoch die Distinktionsgrenzen abseits der Kurpromenade (etwa durch die Wahl des Logis im Grand Hôtel) vollends aufzuheben. Auch veränderte der stetig wachsende Touristenstrom – abseits baulicher wie soziökonomischer Einflüsse – in den bereisten Orten gesellschaftliche Haltungen. So wurde etwa durch die ‹Fremden› (und besonders durch hochgestellte Gäste) in Meran oder Goisern der Bau evangelischer Kirchen befördert (S. 135).

Insgesamt – wie Butz zeigt – bedingte die Präsenz der Habsburger in diesen Orten zu einem bestimmten Zeitpunkt einen gewissen Beschleunigungsfaktor (S. 136), der sich (Ischl ausgenommen) allerdings in der komplexen Struktur des Tourismus mitunter nur schwer bewerten lässt. Obwohl die (Ost‐)Alpen vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten vor 1914 eine überaus wichtige Destination der Sommerfrische stellten und diese von den Mitgliedern des Erzhauses auch regelmässig aufgesucht wurden (S. 175), darf die Bedeutung anderer Kurorte (zum Beispiel Karlsbad und Abbazia) nicht übersehen werden. Vor allem auch, weil es üblich war, während der Sommermonate den Kurort zu wechseln und sich an verschiedenen Orten zu besuchen. Dass in Ischl der «Monarchieeffekt am stärksten» gewirkt habe (S. 178) bleibt eine fahle Erkenntnis. Als Sommerresidenz des Kaisers über Jahrzehnte hinweg nimmt Ischl eine nur schwer zu vergleichende Sonderstellung ein, fliessen hier doch Öffentlichkeit, Politik und Staatsführung ineinander (S. 126 und 129). Das hätte im Hinblick auf den gewählten Ansatz stärker herausgearbeitet und in der Einleitung konzeptionell hinterfragt werden müssen.

Ungeachtet dieser kritischen Anmerkungen bietet die Arbeit einen guten Einblick in die Entwicklung dieser Orte vor allem seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bindet sie über die Habsburger als öffentlich präsente ‹Anziehungspunkte› entsprechend in ein Gesamtbild ein. Die systematische Auswertung der Kurlisten stellt darüber hinaus einen methodischen Impuls dar, den man jedenfalls bei ähnlichen Studien vertiefen sollte.

Anmerkungen
1 www.unilu.ch/news/majestaetische-berge-abschluss-forschungsprojekt-6021/ (3. 5. 2022).

Zitierweise:
Scharr, Kurt: Rezension zu: Butz, Ursula: Habsburg als Touristenmagnet. Monarchie und Fremdenverkehr in den Ostalpen 1820–1910, Wien 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 72(3), 2022, S. 462-464. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00114>.

Redaktion
Autor(en)
Beiträger
Zuerst veröffentlicht in
Weitere Informationen